Die Rollschule rollt durchs Säuliamt

In der Rollschule erhalten Kinder, die nicht in der Regelklasse unterrichtet werden können, Raum, Aufmerksamkeit und Unterricht. Sobald möglich erhalten sie einen Platz in einer für sie geeigneten Schule.

Ein Unterrichtsnachmittag in der Rollschule. (Bild Marianne Voss)
Ein Unterrichtsnachmittag in der Rollschule. (Bild Marianne Voss)

Auf dem Parkplatz beim Schützenhaus Mettmenstetten steht ein Wohnwagen. Oder ist es eher ein Bauwagen? Jedenfalls sieht das suspekt aus. Zwei Tische und Bänke stehen an diesem sonnigen Tag draussen vor dem Gefährt. Eine Frau sitzt mit einem Buben am kleineren Tisch und wickelt Wolle ab. Der andere Bub sitzt am grösseren Tisch und ist mit Heften beschäftigt. Da ist auch noch ein Mann, er war im Wohnwagen und schaut jetzt aus der Tür. Ob das Fahrende sind? Eine Familie, die hier illegal ihre Zelte aufschlägt?

Das haben sich in letzter Zeit wohl ab und zu Wanderer oder Spaziergängerinnen überlegt, wenn sie auf diesen aussergewöhnlichen Wohnwagen trafen. Er steht nicht ­immer am selben Ort. Manchmal ist er bei einem Bauernhof stationiert und manchmal ist er ganz geregelt zu Hause in Ottenbach, wo seine Besitzer wohnen.

Wer auf diesen Wohnwagen stösst, muss sich keine Sorgen machen, denn es geht alles mit rechten Dingen zu. Der Schriftzug «Rollschule» sagt schon etwas darüber aus, dass es sich hier um ein pädagogisches Angebot handelt. Der «Anzeiger» hat die Rollschule besucht und durfte mit den Schülern Timo und Gabriel eine Stunde verbringen.

Aus dem System herauskommen

Lehrerin Andrea Stucky und ihr Mann Tom Keller leiten die Rollschule. Mehr noch, sie haben dieses neuartige Pilotprojekt im März ins Leben gerufen. Begonnen hatte es mit einer einjährigen Reise mit den eigenen Kindern, während welcher das Paar den Unterricht im Wohnwagen, aber auch in der Natur selber erteilte. «Als ich danach wieder als Primarlehrerin arbeitete, merkte ich, dass ich raus muss mit den Kindern», berichtet Andrea Stucky. Sie führte ­einen Waldmorgen pro Woche ein.

Später war sie an der Tagesschule Birke tätig und bekam mit, dass es zu wenig Sonderschulplätze gibt für Kinder, die in der Regelklasse nicht mehr geschult werden können. Die Gründe dafür seien unterschiedlich. «Meistens liegen sie im sozialen oder emotionalen Bereich. Die Integration stösst dann an ihre Grenzen. Die Kinder geraten in eine Negativspirale. Oft entstehen auch Probleme mit den Gspänli in der Klasse.» Für diese Kinder sei es die beste Lösung, aus dem System herauszukommen. Doch eben, es gebe zu wenig Plätze in geeigneten Institutionen. «Oftmals müssen die Kinder warten, bis ein Platz für sie frei wird. Diese Phase kann für alle sehr schwierig sein.»

Immer draussen in der Natur

Andrea Stucky und Tom Keller ent­wickelten aus diesen Erfahrungen ein Konzept, gründeten eine GmbH und wurden bei den Schulen und dem Schulpsychologischen Dienst vorstellig. «Wir sind keine Privatschule», betonen sie. «Wir sind ein Übergangsangebot. Die Kinder werden bei uns geschult und betreut, bis sie einen geeigneten Platz ­erhalten.» Betroffene Kinder im Bezirk Affoltern werden von den Schulen und dem Schulpsychologischen Dienst an die Rollschule überwiesen. Innerhalb weniger Tage können sie im Wohnwagen zur Schule gehen. Die Finanzierung übernimmt die Schule des Wohnorts.

Timo und Gabriel wirken völlig entspannt und glücklich. «Klar, wir gehen sehr gerne hier zur Schule, es ist cool», erklären sie strahlend. Die Pädagogin legt Wert darauf, dass sie sich an Regeln halten und lernen, ihre Aufgaben zu machen. «Die Kinder brauchen Strukturen im Tagesablauf. Zudem ist es uns wichtig, ihr Selbstvertrauen zu stärken.» Zwischen der Rollschule, der Ortsschule, den Eltern und dem Schulpsychologischen Dienst finde ein stetiger Austausch statt. «Alle in diesem Netzwerk stehen unserm Projekt sehr positiv ­gegenüber.»

Nun aber noch eine Frage: «Warum der Wohnwagen?» Die Erklärung ist einfach: «Wir rollen jeweils in die Gemeinden, von welchen die Kinder kommen. Wir reisen quasi den Kindern nach.» Wenn Kinder aus verschiedenen Gemeinden kommen, ist die Rollschule ein paar Tage im einen Dorf und ein paar Tage im anderen Dorf stationiert. Der Standort wechselt, das Schulzimmer ist immer dabei. Die Kinder werden von Tom Keller im Rollschul-Bus von zu Hause abgeholt und zur Rollschule gebracht. Und ein weiterer Vorteil der Schule im Wohnwagen: «Wir sind immer draussen in der Natur.»